In <5gShWmLnzEB@p_hammer.zodiac.de, you write:

Dieser Text geht 
- als Posting nach de.org.ccc und
- als Mail an alle Umfrageteilnehmer, die eine persoenliche
  Ergebnismitteilung gewuenscht hatten (hoffentlich habe ich
  niemanden vergessen).

Viel Spass, Nicola.



UMFRAGE  ERGEBNISSE

Im August 1994 habe ich zum Thema Datennetze und soziale Integration 
eine Umfrage in den News und bei den 2. Kieler Netztagen 
durchgefuehrt. Fuer Eure rege Beteiligung und Unterstuetzung moechte 
ich Euch noch einmal ganz herzlich danken! :-) Die Auswertung hat 
insgesamt laenger gedauert als geplant, aber nun ist sie da!

Ein ausfuehrlicher Ergebnisbericht (ca. 70 Seiten) liegt als ASCII-Datei 
auf dem ftp.server der Universitaet Stuttgart. URL: 
ftp://ftp.uni-stuttgart.de/pub/doc/networks/misc/netz_und_einsamkeit

Der Bericht geht detailliert auf den theoretischen Hintergrund und die 
Untersuchungsmethode ein (Fragebogenguete, "Repraesentativitaet" der 
Untersuchung etc.) und hat eine lange Literaturliste.

Eine _Kurzfassung_ der wichtigsten Befunde findet Ihr unten in diesem 
Posting (und auch auf o.g. ftp.server in Stuttgart im selben Verzeichnis
unter dem Namen netz_und_einsamkeit_kurz).

Bitte verwendet den Text und die Daten nicht ohne vollstaendigen Quellen-
hinweis. Elektronische Publikationen sind urheberrechtlich geschuetzt. 


Eine interessante Lektuere wuenscht Euch Nicola.

.......................................................................

Isolation und Einsamkeit bei Netznutzern ?
Oeffentliche Diskussion und empirische Daten

(c) 1995 Nicola Doering, Technische Universitaet Berlin
   <Nicola.Doering@TU-Berlin.de


Zusammenfassung

Die These, dass sich die Menschen in unserer heutigen Gesellschaft 
zunehmend voneinander entfremden und immer staerker vereinsamen, ist 
sehr populaer. Unter anderem werden gerade die modernen Kom-
munikationstechniken als wesentliche Einsamkeitsausloeser benannt: 
Medial vermittelte Kommunikation gilt als defizitaer, kalt und un-
menschlich, und nicht selten wird ein Bild des kontaktgestoerten, iso-
lierten und lebensfremden Computernutzers beschworen.

Die bislang vorliegenden empirischen Daten zeigen jedoch weder einen 
Trend zur Vereinsamung in Deuschland (vgl. Doering & Bortz, 1993) 
noch ein besonders auffaelliges oder gar defizitaeres Sozialverhalten bei 
Computernutzern (vgl. Barth, 1991, 1993; Kneer, 1994; Spanhel, 1990; 
Swoboda, 1986; Wetzstein et al., 1994). Entgegen gaengigen Stereo-
typen ueber "technikzentrierte Computersuechtige", ist zu vermuten, 
dass aktive Netznutzer eher weniger einsam und besser sozial integriert 
sind als der Bevoelkerungsdurchschnitt, sofern sie die Kommunikations- 
und Kontaktmoeglichkeiten des Netzes in Anspruch nehmen.

Da bislang keine direkten Einsamkeitsdaten von Netznutzern verfuegbar 
waren, wurde 1994 eine Fragebogenuntersuchung durchgefuehrt, an der 
sich 350 Netznutzer (4% Frauen, 96% Maenner) beteiligten (Durch-
schnittsalter: 27 Jahre). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass zahl-
reiche Behauptungen ueber Einssamkeit im Netz empirisch nicht haltbar 
sind. Weder scheint Netz-Nutzung auf die Dauer in die Vereinsamung zu 
fuehren, noch ersetzen Netz-Kontakte persoenliche Kontakte. Netzak-
tivitaeten dienen nicht, wie oft unterstellt, der Realitaetsflucht, sondern 
koennen in vielfaeltiger Weise zur Alltagsbewaeltigung beitragen.


UNTERSUCHUNGSMETHODE

Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine standar-
disierte schriftliche Befragung. Der Fragebogen wurde auf den zweiten 
Kieler Netztagen (25.8.1994 bis 28.8.1994) verteilt und am 29.8.1994 in 
15 Newsgroups gepostet, er war bewusst kurz gehalten und bestand aus 
fuenf Teilen:

1. Sozialstatistik
Geschlecht, Alter, Taetigkeit, Einkommen etc.

2. Angaben zur Netznutzung
Netznutzung in Monaten, Haeufigkeit und Nutzungdauer einzelner Netz-
dienste, monatliche Ausgaben fuer Netznutzung etc.

3. Soziale Integration
Anzahl der guten Freunde, Anzahl der Bekannten, Familienstand bzw. 
Partnerschaft

4. Einsamkeit
Intensitaet subjektiv erlebter Einsamkeit gemessen mit der "University of 
California Los Angeles Loneliness Scale" von Russell et al. (1980), be-
stehend aus 20 Items, die einsamkeitstypische Gedanken und Gefuehle 
beschreiben. Der Skalenwert hat einen Wertebereich von 1 (minimale 
Einsamkeit) bis 5 (maximale Einsamkeit). Wie zahlreiche Studien  mit 
der UCLA LS zeigen, sind Werte zwischen 1,8 und 2,0 "normal" (Be-
voelkerungsdurchschnitt), niedrigere Werte sprechen fuer eine besonders 
glueckliche Lebenslage, Werte um 3,0 indizieren ausgepraegte Einsam-
keitsgefuehle und sind z.B. typisch fuer Personen, die sich fuer Einsam-
keitstherapien anmelden. Werte um 4,0 deuten auf sehr extreme, oftmals 
chronisch Einsamkeit hin, Werte um 5,0 kommen so gut wie gar nicht 
vor.

5. Selbstwertgefuehl und Identitaet 
Selbstbeurteilung auf Einzelitems: "Ich bin sicher und selbstbewusst", 
"Ich wuerde gerne jemand anders ein".

Fragebogenguete und Akzeptanz waren zufriedenstellend (vgl. hierzu 
Doering, 1995).


STICHPROBENBESCHREIBUNG

Die Untersuchungsteilnehmer waren ueberwiegend maennlich (96%) , 
jung (Durchschnittsalter 27 Jahre, 70% waren zwischen 20 und 30 Jahre 
alt) und gut ausgebildet (80% hatten Abitur oder einen hoeheren Ab-
schluss). Das Einkommen war eher gering (62% hatten ein monatliches 
Netto-Einkommen unter 2000 DM), was sich daraus erklaert, dass 
knapp 50% studierten (44% Berufstaetige, 7% Schueler und Azubis). 
60% der Befragten waren haupt- oder nebenberuflich im Bereich Infor-
matik/Informationstechnik taetig. Die durchschnittliche Netzerfahrung 
betrug 2,3 Jahre (ein Drittel der Befragten war kuerzer als 1 Jahr am 
Netz). Insgesamt entsprechen diese Befunde den Ergebnissen von Kneer 
(1994) und Wetzstein et al. (1994). 

Bei der Stichprobe handelt es sich um eine willkuerliche Auswahl durch 
Selbstselektion der Probanden (zu Grenzen und Moeglichkeiten der 
Generalisierbarkeit der Ergebnisse s. Doering, 1995).



HYPOTHESEN

Anlass dieser Untersuchung und Ausganspunkt der Hypothesenbildung 
waren die bekannten Befuerchtungen ueber sozialschaedliche Wirkungen 
der Netznutzung. Diese Vorstellungen sind auf der Basis bislang vor-
liegender Empirie - aber auch aus theoretischer Sicht - zu relativieren, 
oftmals sogar gaenzlich zu revidieren (vgl. dazu Doering, 1994).

Entsprechend lautet die Leithypothese dieser Untersuchung, dass 
Netznutzung nicht in die soziale Isolation und Vereinsamung fuehrt, 
sondern soziale Integration eher unterstuetzt. 

Da es sich bei der vorliegenden Studie um eine quasi-experimentelle 
Untersuchung handelt, koennen keine Kausalhypothesen bestaetigt, 
sondern lediglich Korrelationen nachgewiesen werden. Allerdings ist es 
moeglich, Kausalhypothesen zu falsifizieren, indem die durch einen 
behaupteten Kausalzusammenhang implizierten korrelativen Zusam-
menhaenge widerlegt werden (Bsp.: Wenn langfristige Netznutzung - 
wie oft behauptet - ursaechlich dazu fuehrt, dass persoenliche Kontakte 
zunehmend durch Netzkontakte ersetzt werden, muesste ein negativer 
Zusammenahng zwischen Netzerfahrung und sozialer Integration be-
stehen. Kann dieser Zusammenhang nicht nachgewiesen werden, spricht 
dies gegen die Gueltigkeit der These.)

Im folgenden werden sechs Fragestellungen behandelt:
1. Sind Netznutzer besonders isoliert und einsam?
2. Sind MUD-Spieler besonders isoliert und einsam?
3. Wie stichhaltig ist die Substitutionshypothese ("Netzkontakte 
   _ersetzen_ persoenliche Kontakte")?
4. Wie stichhaltig ist die Degenerationshypothese ("Je laenger am 
   Netz, umso isolierter und einsamer")
5. Bedeutet Netznutzung Realitaetsflucht?
6. Kann Netznutzung Einsamkeitsgefuehle verringern?

Die Hypothesen lauten, dass 1., 2. und 5. mit "Nein", 3. und 4. mit "nicht 
stichhaltig" und 6. mit "Ja" zu beantworten sind.

1.  Sind Netznutzer besonders isoliert und einsam?

Diese populaere These ist vor dem Hintergrund der vorliegenden Daten 
anzuzweifeln: Die befragten Netznutzer hatten durchschnittlich 7 gute 
Freunde und 32 Bekannte, 43% hatten eine feste (eheliche oder nicht-
eheliche) Partnerschaft. Zum Vergleich: Studierende unterschiedlicher 
Fachbereiche der TU Berlin hatten durchschnittlich 6 Freunde und einen 
Anteil von 44% mit fester Partnerschaft (eigene unveroeffentliche 
Untersuchung, 1993). Der Bevoelkerungsdurchschnitt liegt bei 31 Be-
kannten (Noelle-Neumann & Koecher, 1993, S. 79).

Mit einem durchschnittlichen Einsamkeitswert von von 1,9 (SD=0,5) 
waren die befragten Netznutzer "normal" einsam (s.o.). Hypothesen-
konform waren die befragten Netznutzer im Vergleich zu Nicht-Nutzern 
weder ueberdurchschnittlich isoliert noch ueberdurchschnittlich einsam.


2.  Sind MUD-Spieler besonders isoliert und einsam?

Auch diese Befuerchtung scheint unbegruendet: Die 48 befragten MUD-
Spieler unterschieden sich von den Nicht-Spielern nur in zwei Punkten: 
Sie waren signfikant juenger (Durchschnittsalter 25 Jahre) und stimmten 
signifikant staerker der Aussage zu "Ich moechte gerne jemand anderes 
sein". Hinsichtlich Selbstwertgefuehl, Einsamkeit und Isolation gab es 
jedoch keinerlei Unterschiede. MUD-Spielen, das nur von einer Min-
derheit der Netznutzer gepflegt wird und meist nur phasenweise auftritt, 
war bei den befragten MUD-Spielern weder mit besonderer Einsamkeit 
noch mit Isolation verbunden.


3.  Wie stichhaltig ist die Substitutionshypothese?

Die Subsitutionshypothese besagt, dass Netzkontakte die persoenlichen 
Kontake ersetzen und verdraengen. Die Substitutionshypothese ist eine 
Variante der Mediatisierungsthese, die besagt, dass Telekommuni-
kationsmedien die direkte, sinnliche Wirklichkeitserfahrung zunehmend 
durch indirekte Erfahrungen (Abbilder) ersetzen. Waere dies der Fall, 
muesste man im Gefolge der Verbreitung von Telekommunikations-
medien und Vernetzung mit gravierenden psycho-sozialen Veraende-
rungen in der Gesellschaft rechnen.

Die vorliegenden Daten stehen im Widerspruch zu diesen Befuerch-
tungen. Fuer die befragten Netznutzer gilt: Wer viele Freunde hatte, 
hatte auch mehr Bekannte (r=+0,29, p<0,001), hatte mehr wichtige 
Beziehungspersonen, mit denen er oder sie persoenlich _und_ elek-
tronisch kommunizierte (r=+0,20, p<0,001) und hatte mehr reine Netz-
kontakte (r=+0,13, p<0,05). Geselliges Verhalten schlaegt sich also 
offensichtlich innerhalb und ausserhalb des Netzes nieder. (Aehnliche 
Befunde gibt es auch fuer das Telefonieren: Gesellige Menschen tele-
fonieren mehr! Naeheres dazu s. Doering, 1995)

80% der befragten Netznutzer kontaktierten ueber das Netz subjektiv 
wichtige Beziehungspartner, die sie auch persoenlich trafen, 42% 
pflegten subjektiv bedeutungsvolle, reine Netzkontakte. Die durch-
schnittliche Anzahl der _reinen_ Netzkontakte pro Person belief sich auf 
3, waehrend durchschnittlich 9 Personen genannt wurden, mit denen die 
befragten Netznutzer sowohl face-to-face als _auch_ computervermittelt 
in Kontakt traten. Die durchschnittliche Anzahl wichtiger Personen, mit 
denen nie computervermittelt kommuniziert wurde, betrug 18. 

Das Netz nimmt offensichtlich haeufig die Funktion eines alltaeglichen 
Kommunikationsmediums, aehnlich dem Telefon ein. Auch Telefonkon-
takte ersetzen ja nicht die persoenlichen Treffen, sondern bereiten diese 
oftmals vor, etwa indem man sich telefonisch verabredet, und sie ergaen-
zen die persoenlichen Kontakte, indem sie die Moeglichkeit bieten, mit-
einander zu sprechen, wenn face-to-face-Begegnungen nicht moeglich 
sind. Dass Netzkontakte Ueberhand nehmen und persoenliche Kontakte 
verdraengen, scheint sich bei den befragten Netznutzern nicht abzuzeich-
nen.


4.  Wie stichhaltig ist die Degenerationshypothese? 

Die Degenerationshypothese besagt, dass Netznutzung zu immer mehr 
Netznutzung fuehrt und auf die Dauer Persoenlichkeit und Sozial-
beziehungen des Netznutzers degenerieren.

68% der befragten Netznutzer gaben an, in Zukunft "genauso viel Zeit" 
im Netz zu verbringen, 14% erwarteten weniger, 18% mehr Netz-
nutzung. Im letztgenannten Fall handelte es sich um vergleichsweise 
unerfahrene Nutzer (durchschnittlich 18 Monate Netzerfahrung), 
waehrend Personen mit konstantem oder ruecklaeufigem Zeitaufwand im 
Durchschnitt mehr Netzerfahrung hatten (30 Monate). 

Es zeigte sich kein ueberzufaelliger Zusammenhang zwischen Netz-
erfahrung in Monaten und der Anzahl von Freunden, der Anzahl von 
Bekannten und subjektiver Einsamkeit. Auch laengerfristige Netz-
nutzung schien den Befragten nicht geschadet zu haben.


5.  Bedeutet Netznutzung Realitaetsflucht?

Die Mediatisierungsthese besagt, dass Netzaktivitaeten die direkte Aus-
einandersetzung mit der Wirklichkeit ersetzen und somit zur Ent-Sinn-
lichung von Erfahrung fuehren. Das Netz gilt als ideale Moeglichkeit der 
Realitaetsflucht (Eskapismus). Da Netznutzer in der Regel nur ein 
begrenztes Zeitpensum im Netz verbringen, koennen Netzaktivitaeten 
das Alltagsleben rein zeitlich gar nicht ersetzen, eher stellen sie eine 
Ergaenzung dar, haeufig bereiten sie aber auch direkte Alltagserfah-
rungen (Freundschaften, Urlaub etc.) vor. 

Von den befragten Netznutzern hatten 3 Personen ihre Wohnung, 10 
Personen ihren Lebenspartner und 34 Personen ihre Arbeitsstelle ueber 
das Netz gefunden. Kontakte zu anderen Menschen (Fachkollegen, 
Diskussionspartner, Hobbypartner etc.) waren die am haeufigsten 
genannten Resultate der Netznutzung. Weiterhin spielten der Zugriff auf 
Informationen (Urlaubsziele, Hilfe bei Hard- und Softwareproblemen, 
Informationen fuer Diplomarbeit etc.) und der Kauf und Verkauf von 
Waren (Computerteile, Einrichtungsgegenstaende, Fahrrad, Eintrittskar-
ten etc.) eine Rolle. Schliesslich wurden auch psychologische Gratifi-
kationen genannt: Amusement, Anerkennung, Ruhe. In diesem Sinne 
scheint Netznutzung eher der Alltagsbewaeltigung als der Realitaets-
flucht zu dienen. 

Zudem ist das Netz als Kommuniktionsmedium ohnehin keine fiktive 
"Pseudo-Welt", sondern ein sozialer Raum. Wer sich etwa mit ueber-
steigerten Groessenphantasien im Netz bewegt, stoesst dort durchaus auf 
Widerstand, waehrend nicht-interaktive Medien wie z.B. die als Kultur-
gueter hervorgehobenen Buecher, keine sozialen Regulativa bieten. Dass 
das Lesen unumwunden als kulturelle Taetigkeit begruesst wird, waeh-
rend Netzaktivitaeten in der populaeren Diskussion gerne mit Kultur-
verfall in Zusammenhang gebracht werden, macht stutzig, wenn man 
zugrundelegt, dass Hauptaktivitaeten von Netznutzerinnen und -nutzern 
eben Lesen und Schreiben sind (selbst im Word Wide Web dominieren 
Texte ueber visuelle und akustische Praesentationsformen).


6.  Kann Netznutzung Einsamkeitsgefuehle verringern?

Da das Netz Moeglichkeiten zur Unterhaltung, zur Stimmungsregu-
lation, zur Problemloesung und zur Kontaktanbahnung bietet, kann 
Netzkommunikation potentiell Einsamkeitsgefuehle verhindern oder 
zumindest verringern (vgl. Doering, 1994). Insbesondere Netznutzer, die 
die kommunikativen Moeglichkeiten des Netzes (Email, News, IRC) 
intensiv einsetzen, sollten besonders wenig unter Einsamkeitsgefuehlen 
leiden, da sie temporaere Einsamkeitsgefuehle waehrend des Alleinseins 
durch Netzaktivaeten ueberbruecken koennen und sich durch zusaetzlich 
Netzkontakte sozial integriert fuehlen. Insbesondere die Tatsache, dass 
im Netz Tag und Nacht Gleichgesinnte zu treffen sind, koennte gegen 
temporaere, einsamkeitstypische Gefuehle des Abschnittenseins von der 
Welt, die sich insbesondere abends oder am Wochenende einstellen, 
wenn man allein zu Hause oder in einer fremden Umgebung (z.B. Hotel) 
ist oder mit seinen Naechsten im Streit liegt, helfen.

Ein Extremgruppenvergleich zwischen Nutzern, die Email, News oder 
IRC taeglich und laenger als eine halbe Stunde nutzten (n=44) und 
Personen, die Email, News oder IRC hoechstens 2/3mal pro Woche und 
weniger als 30 Minuten nutzen (n=81) ergab, dass intensive Netznutzer 
signifikant mehr reine Netzkontakte (5 gegenueber 1) pflegten und 
signifikant mehr Kontakte hatten, die auch durch Netzkommunikation 
aufrechterhalten wurden (13 gegenueber 7). Hinsichtlich der Anzahl von 
Bekannten und Freunden bestanden dagegen keine ueberzufaelligen 
Gruppenunterschiede, und auch in der subjektiv erlebten Einsamkeit 
unterschieden sich beide Gruppen nicht. Dass intensive Netznutzer die 
Haelfe (13 von 26) ihrer subjektiv wichtigen Beziehungspartner aus dem 
Alltagsleben auch ueber Netz ansprechen konnten, waehrend dies bei den 
weniger intensiven Nutzern nur durchschnittlich 30% (7 von 24) waren, 
wirkte sich offensichtlich nicht positiv auf das globale Einsamkeitsleben, 
gemessen mit der UCLA Loneliness Scale, aus. 

Hierzu ist jedoch anzumerken, dass die UCLA Loneliness Scale eher 
ueberdauernde Einsamkeitsgefuehle aufgrund von Isolation (trait lone-
liness) als kurzfristige Einsamkeitsstimmungen (state loneliness) erfasst 
(Naeheres zur Einsamkeitspsychologie s. Doering 1994). Um die 
vermuteten Zusammenhaenge zwischen temporaeren Einsamkeits-
gefuehlen und Netznutzung zu untersuchen, waere eine feinere Erfas-
sung von Einsamkeitsgefuehlen auf Situationsebene erforderlich. Viel-
versprechend waere auch eine Mikroanalyse der Unterstuetzungsfunk-
tionen der Netzgemeinde im Zusammenhang mit der Bewaeltigung 
kritischer Lebensereignisse und damit verbundener sozialer Isolation und 
subjektiver Einsamkeit. So ist den News zumindest anekdotisch zu 
entnehmen, dass die <alt.support.* Hierarchie gut frequentiert ist und 
Netznutzer diese elektronischen Selbsthilfegruppen aeusserst hilfreich 
erleben.

DISKUSSION

Vermutungen ueber Isolation und Einsamkeit bei Netznutzern konnten in 
dieser Untersuchung zurueckgewiesen werden. Die befragten Netznutzer 
waren im Durchschnitt weder besonders isoliert, noch ueberdurch-
schnittlich einsam. Wer viele Netzkontakte pflegte, hatte im Widerspruch 
zur Substitutionshypothese nicht weniger, sondern mehr persoenliche 
Kontakte. Langjaehrige Netznutzer hatten im Widerspruch zur Degene-
rationshypothese nicht weniger, sondern genauso viele Kontakte wie 
Netzneulinge.

Die Ergebnisse sprechen insgesamt fuer eine Ergaenzungshypothese, 
nach der Netzkommunikation andere Kommunikationsformen (face-to-
face, Telefon etc.) ergaenzt und sich soziale Netzwerke durch zu-
saetzliche, "reine" Netzkontakte mit geographisch entfernten Kom-
munikationspartnern erweitern. Besonders einsam waren erwar-
tungsgemaess jene Respondenten, die nur wenige Freunde und Bekannte 
und keine Partnerschaft hatten. Solche Isolationsprobleme stehen 
allerdings mit Netznutzung in keinerlei Zusammenhang.

Einsamkeit bei Netznutzern scheint zu grossen Teilen ein Phaenomen der 
interpersonalen Wahrnehmung (Stigmatisierung, Stereotypisierung, Pro-
jektion) zu sein und sollte zukuenftig auch aus dieser Perspektive unter-
sucht werden. Die Beziehungen zwischen Einsamkeit und Computer-
nutzung im Paradigma von Eindrucksbildung (Impression Formation) 
und Eindruckslenkung (Impression Management) zu analysieren be-
deutet nicht, psychosoziale Gefahren durch Netze auf "blosse" Vorstel-
lungen (soziale Konstrukte) von Akteuren zu reduzieren. 

Die bislang vorliegenden empirischen Daten geben zwar wenig 
Anhaltspunkte f|r das in der Oeffentlichkeit haeufig diskutierte 
Vereinsamungspotential des Netzes, trotzdem sollten pathogene 
Auswirkungen, selbst wenn sie ein Minderheitenproblem darstellen, 
natuerlich nicht marginalisiert werden. Da es moeglicherweise schwer ist, 
aktuell Betroffene zu erreichen, koennten biographische Interviews mit 
Netznutzern, die problematische Phasen ihrer Computertaetigkeit hinter 
sich haben, systematischere Hinweise ueber die Gefahren der Netz-
nutzung bieten, als die bislang prominenten anekdotischen Einzelfaelle.

Manchmal entsteht jedoch der Eindruck, in der oeffentlichen Diskussion 
wuerde Vereinsamung plakativ zum Hauptproblem der Vernetzung 
hochstilisiert, und als wuerden dabei Chancen versaeumt, ueber gravie-
rendere Probleme im Zusammenhang mit globalen Datennetzen oeffent-
lich zu diskutieren.


Literatur

Barth, T. (1991). 
Informationsparadies kontra Maschineller Charakter. PP Aktuell, 10, 56-
65.

Barth, T. (1993). 
Ein kommunikationsoekonomischer Blick auf den Computer. Die 
psychologische Seite der Computergesellschaft. PP Aktuell, 12, 107-
122.

Doering, N. (1994). 
Einsam am Computer? Sozialpsychologische Aspekte der USENET 
Community. In C. Schoenleber (Hrsg.), 2. Kieler Netztage '94. 
Kongressband. Kiel: Verlag Claus Schoenleber. 
Als elektronische Publikation. URL: 
ftp://ftp.uni-stuttgart.de/pub/doc/networks/misc/einsamkeit-und-usenet.

Doering, N. (1995). 
Isolation und Einsamkeit bei Netznutzern? Oeffentliche Diskussion und 
empirische Daten. Elektronische Publikation. URL: 
ftp://ftp.uni-stuttgart.de/pub/doc/networks/misc/netz_und_einsamkeit.

Doering, N. & Bortz, J. (1993). 
Einsamkeit in Ost- und Westdeutschland. Koelner Zeitschrift fuer 
Soziologie und Sozialpsychologie, 45, 507-527.

Kneer, V. (1994). 
Computernetze und Kommunikation. Elektronische Publikation: URL: 
ftp://ftp.uni-stuttgart.de/pub/doc/networks/misc/computer-und-
kommunikation

Noelle-Neumann, E. & Koecher, R. (Hrsg.) (1993). 
Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1984-1992. Muenchen: Saur.

Russell, D., Peplau, L. & Cutrona, C. (1980).
The revised UCLA Loneliness Scale - Concurrent and discriminant 
validity evidence. Journal of Personality and Social Psychology, 39, 472-
480.

Spanhel. D. (1990). 
Jugendliche vor dem Bildschirm. Neueste Forschungsergebnissse ueber 
die Nutzung der Videofilme, Telespiele und Homecomputer durch 
Jugendliche. Weinheim: Deutscher Studien Verlag.

Swoboda, W. H. (1986). 
Zum Umgang Jugendlicher mit dem Bildschirmspiel - Ergebnisse einer 
bundesweiten Repraesentativbefragung. In J. Knoll, S. Kolfhaus, S. 
Pfeifer & W. H. Swoboda (Hrsg.), das Bildschirmspiel im Alltag 
Jugendlicher. Opladen: Leske + Budrich.

Wetzstein, T, Dahm, H., Steinmetz, L. & Eckert, R. (1994).
Kultur und elektronische Kommunikation. Eine empirische Un-
tersuchung zu den Nutzern von Computernetzwerken. Interner 
Forschungsbericht. Trier: Universitaet Trier (erscheint nach Mitteilung 
von T. Wetzstein voraussichtlich im Mai 1995 im Westdeutschen 
Verlag). 

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(c) 1995 Nicola Doering, Technische Universitaet Berlin